1958 : 36.000 km mit der Vespa durch Asien und Afrika – und heute immer noch begeisterter Vespafahrer
Fernweh hatte er schon immer: Als Schüler erforschte Richard bereits zusammen mit seinem Freund die Nordfriesischen Inseln, ein Jahr später bereisten sie
Österreich und die Schweiz.1955 eroberten sie mit der Vespa des Freundes Algerien. Nach dieser Fahrt, eine Feuertaufe, auf der sich herausstellte, dass die beiden Kameraden bestens zusammen
passten, stand für sie fest: Wir fahren in absehbarer Zeit nach Indien. Der Gedanke ließ sie in den nächsten Monaten nicht mehr los.
„Mutti, ich muss mal wieder raus“ sagte Richard Schebera, gerade 18 Jahre alt, irgendwann zu seiner Mutter. Dann hockte er sich mit seinem ein Jahr älteren Freund Dieter, der eine Vespa 150 ccm
GS sein eigen nannte, über Landkarten, studierte Reisebücher und kaufte Ersatzteile für die Vespa.
Am 6. August 1958, kurz nach 10.00 Uhr morgens, brummte der Motor des Rollers los, vollgepackt mit fast fünf Zentner „Reisegepäck“ und beiden Freunden. Für die zwei Abenteurer ging’s ab in
Richtung Süden. Ehe sie Deutschland verließen, machten sie noch einen Abstecher zum Vespa-Werk in Augsburg.
Ihr eigentliches Ziel aber stand fest: Sie wollten nach Indien. Zu diesem Zeitpunkt ahnten sie noch nicht, dass sie mit ihrem Roller 36.000 km – fast um den halben Erdball – in 7 Monaten fahren
und dabei 17 Länder kennen lernen würden. Dabei verschlissen sie unter anderem auch acht Rollerreifen.
Tatsächlich hätte nur der Wagemut der beiden Abenteurer nicht ausgereicht, ihnen über all die Klippen hinwegzuhelfen, die auf ihrer ungewöhnlichen Reise im Weg lagen. Aus der Fülle der Erlebnisse während der zuweilen abenteuerlichen Fahrt waren am eindringlichsten die Gastfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft, die ihnen von der Türkei bis Indien entgegengebracht wurde.
Es gab am Anfang schon Augenblicke der Verzweiflung: Auf der Hinfahrt zum Beispiel, schon in Österreich am Pöttschen Pass mit einer Steigung von 34 %, als plötzlich der Kupplungszug der Vespa riss und die Wagemutigen, die keine Ahnung von der Mechanik eines Motorrollers hatten, darangehen mussten, diese Reparatur selbst auszuführen. Inzwischen ist Richard ein fast perfekter Mechaniker.
Über Jugoslawien und Griechenland führte der weite Weg bei äußerst schlechten Straßenverhältnissen nach Istanbul. Sie waren an der Nahtstelle zwischen Orient und Okzident angekommen. Bereits bei der Planung hatten sich die Freunde vorsichtshalber ein Buch besorgt, in dem alle Rollerstationen der Welt verzeichnet waren.
In Istanbul zeigte sich der örtliche Vespa Club, den sie ausfindig machten, als fürsorglicher Gastgeber. Mit ihm unternahmen sie Fahrten an den Bosporus, zum Marmarameer und zum Schwarzen Meer.
Immer wieder hörten sie bei ihrem Aufenthalt die Bemerkung: „Mit diesem Roller wollen Sie nach Indien fahren? Unmöglich!“ Aber die beiden ließen sich nicht entmutigen.
Die weitere Exkursion führte sie über Ankara, Erzurun nach Täbris und Teheran. Hier erlebten sie den höchsten Feiertag der Moslems, den Todestag Mohammeds.
Große Umzüge und Prozessionen, fanatische Geisselbrüder, die sich im Rhythmus der monotonen Trommelmusik mit schweren Eisenketten ihre Rücken blutig
schlugen, zogen durch die vollgestopften Straßen. Richard und sein Freund waren in einer anderen Welt angekommen, in der die Menschen nicht nur gegen andere hart und grausam waren, sondern auch
gegen sich selbst.
Weiter ging die Reise ins wilde Afghanistan. Das Entsetzen packte die beiden, als sie in einer unzugänglichen Felsenschlucht während einer Rollerpanne auf eine schwer bewaffnete Räuberschar
trafen. Mit Händen und Füßen machte Richard ihnen klar, dass bei den Weltenbummlern nichts zu holen war. Das Ende der Diskussion: Sie durften wie Freunde in der gewöhnungsbedürftigen Räuberhütte
nächtigen.
In Zoheda, an der persisch-pakistanischen Grenze, wurden sie von der Polizei überraschend fünf Tage inhaftiert, weil die dortigen Behörden festgestellt
hatten, dass beide noch keine erforderliche Schutzimpfung bekommen hatten. Richard strahlt noch heute: „Nun wurden wir auf Staatskosten geimpft, viel billiger, als wenn wir das vorher organisiert
hätten!“
Später zeigte sich die Roller- Servicestation in Karachi sehr zuvorkommend und verlangte für ihren Kundendienst nicht einmal eine Vergütung.
Billig war überhaupt ein Stichwort dieser Reise. Die zwei Wagemutigen kamen mit je DM 780,00 (€ 370,00) aus, eingerechnet die Benzinkosten und alle Übernachtungen, ausschließlich der vorher gekauften Ersatzteile
für den Roller.
Dass die Freunde sieben Monate lang mit dieser geringe Summe auskommen konnten,
lag einfach daran, dass sie immer wieder eingeladen wurden. Eine solche Einladung war auch der Ausgangspunkt einer Audienz, die ihnen der damalige
indische Ministerpräsident Nehru einräumte. Auf einer belebten Straße waren beide unvermittelt von einem kleinen Jungen angesprochen worden, der sie bat, mitzukommen. Sie landeten in einem vornehmen
Haus und – wie sich später herausstellte – beim Sekretär des amtierenden indischen Ministerpräsidenten.
Ein handgeschriebener Zettel dieses Mannes öffnete ihnen am nächsten Tag alle Türen. Kurz nach acht Uhr in der Frühe standen sie im Vorzimmer des Büros von Nehru. Bald danach erschien er
persönlich, wechselte ein paar Worte und schenkte jedem von ihnen am Ende ein signiertes Bild, das Richard noch heute sorgsam verwahrt. Das war eines der schönsten Erlebnisse dieser Reise.
Sie fuhren durch unendliche Sandwüsten, wo das Rollerfahren einfach unmöglich war und sie froh waren, wenn sie den Roller unversehrt hindurch schieben konnten. „Wir wären glücklich gewesen, wenn wir irgendwo einen miserablen Stolperweg
gefunden hätten“ meint Richard. Streckenweise mussten sie tropische Hitze bis zu fünfzig Grad erleben und Nachtfröste, bei denen die Quecksilbersäule des Thermometers unerbittlich weit unter Null
Grad sank. Sie froren jämmerlich, je weiter und höher sie in die schroffen Berge kamen.
Allah strafte sie aus unerfindlichen Gründen bei der holprigen Fahrt über das Sultan- Bulaghbas-Gebirgsmassiv, indem er ihre Bärte vereisen ließ und die
Finger blaugefroren waren. Sie hingen mit
ihrer schwer bepackten Vespa in fast undurchdringlichen Sümpfen fest und schoben ihren Roller durch unbekannte
Flusslandschaften. Nicht nur einmal „küssten“ sie mit der Vespa die Erde und handelten sich leichtere Blessuren ein.
In Indien standen alle Straßen unter Wasser, denn es herrschte gerade indischen Sommermonsun. Oft kampierten sie im Freien unter dem weiten Sternenhimmel, umgeben von dem heiseren Gebell der
unweit kampierenden Schakale und dem nicht enden wollenden Zirpen der unzähligen Insekten.
Den ansässigen Bewohnern der unwegsamen Grenzgebiete Indiens müssen die beiden braun gebrannten Weltenbummler mit ihren Sturzhelmen wie Menschen von einem anderen Stern vorgekommen sein. In manchen Orten liefen nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene bei ihrem Anblick vor ihnen davon!
„Wenn man die Reise einmal vom handwerklichen Standpunkt aus betrachtet“, sinniert Richard, „so ist es interessant zu sehen, mit welchen primitiven Arbeitsmitteln man damals noch in den asiatischen Ländern arbeitete“. Es mutet einem wie ein Märchen an, wenn man erfährt, dass z.B. Bäcker mit bloßen Armen durch die Flammen des Backofens griffen, um ihr Brot – Schapati – an die Wölbung des Backofens zu kleben. Ebenso erschien Richard, selbst orthopädischer Schuhmachermeister, es sehr gewöhnungsbedürftig, als die einheimisch Schuhmacher direkt als Akrobaten fungierten, wenn sie die Schuhe beim Einstechen der Nadel mit ihren Füßen festhielten. Gab Richard sich diesen Leuten als Handwerker zu erkenne, waren Verpflegung und Unterkunft für die folgenden Tage gesichert.
Der Rückweg, der über die Ufer des Indus hinaus bis zum Fuß des Himalaja führte, ging über Pakistan, Iran, den Irak, Jordanien, Syrien und den Libanon. In Beirut fanden die zwei Freunde ein preisgünstiges Schiff nach Port Said. Sie bummelten durch Kairo, der größten Stadt der arabischen Welt umfuhren die Pyramiden von Gizeh, die zu den bekanntesten und ältesten erhaltenen Bauwerken der Menschheit gehören. Sie tauften Ägypten insgeheim als „das Land der Schlitzohren“, denn nirgends mussten sie bisher auf ihrer Reise so auf den Schwund ihrer geschrumpften Reisekasse aufpassen wie hier.
In ihren Kleidern fanden inzwischen Flöhe und sonstiges Ungeziefer Unterschlupf. Die beiden Freunde besuchten Alexandrien, El Alamain und Tobruk an der nordafrikanischen Küste. In Tripolis nahm sich ein Vespa-Service wieder einmal ihres Rollers an. An ihrem Fahrzeug war zwischenzeitlich fast nichts mehr intakt, vieles musste erneuert werden. Für die Generalüberholung nahm Ibrahim, der Chef der Service-Station, keinen Pfennig. Im Gegenteil: Er überreiche den beiden jungen Deutschen zusätzlich noch „Dinars für die Reise“ – rund DM 60,00 nach der damaligen Währung.
Nach weiteren acht Tagen gastlichen Aufenthaltes verließen die zwei Globetrotter mit dem Schiff Afrika und betraten in Palermo wieder europäischen Boden.
Braun gebrannt, mit langen Bärten, kehrten die beiden Abenteurer Richard und sein Freund unversehrt am 07. März 1959 in die Heimat zu Muttern
zurück.
Dass sie in dieser Zeit dieses Abenteuer überstanden – ohne Telefon, Handy oder NAVI - grenzt an ein Wunder. Was die beiden in den sieben Monaten ihrer Weltreise alles erlebt haben, könnte Bücher
füllen. Eines jedoch betont Richard immer wieder: „Wir sind überall herzlich aufgenommen worden. Wohin wir auch kamen, die Menschen, die wir trafen,
waren stets höflich und hilfsbereit. Immer wieder wurden wir sehr herzlich eingeladen. Oft konnten wir zwischen zwei, drei Einladungen
auswählen. Ohne diese Hilfe hätten wir es wahrscheinlich nie geschafft!“
Seine Liebe zur Vespa ist ihm in den vergangenen Jahren geblieben. Vor einigen Jahren ist Richard, inzwischen in die Jahre gekommen, mit seiner Vespa PX 150 dem Vespa Club Bergisch Gladbach beigetreten. Immer noch ist er hell auf begeistert, wenn Peter, der Tourenwart des Clubs, mit den Worten „Aufsitzen“ die Clubmitglieder zu größeren und kleineren Rollerfahrten aufbricht.
Christa Rüger